Wenn die Hilflosigkeit Schuldige braucht

Internationale Medien suchen spezifisch österreichische Ursachen für den Fall Josef F., nationale irgendwie auch.

Wie oft ist es passiert im Felix Austria, dass sich hinter der scheinbaren Perfektion Gespenster, Neurosen, Wahnsinn verstecken. Nicht umsonst hat Freud im Zentrum der Habsburgischen Monarchie die Abgründe der menschlichen Seele erforscht und versteckte Wunden entdeckt, die immer bereit sind, sich wieder zu öffnen und zu eitern. Serienmörder und Perversionen sind natürlich keine österreichische Exklusive. Doch nur dort verbinden sie sich mit Walzer, Jodler und Kuckucksuhren. Nur dort kann Wahnsinn jahre-, jahrzehntelang mit der stillen, bürokratischen Ausdauer lodern, die das Habsburgische Reich legendär gemacht hat. In diesem Josef F., der sieben Kinder mit der Tochter erzeugt hat, die er vergewaltigte, steckt etwas ungeheuerlich Biedermeierliches. Etwas ungeheuerlich und einzigartig Österreichisches.“ Also kommentierte die italienische La Stampa den international einzigartigen Kriminalfall von Amstetten.

Sieht man von den Kuckucksuhren ab, hinter denen sich wohl eher kriminelle schweizerische als österreichische Väter verbergen, ist das zumindest eine historisch bemühte Interpretation des Inzest-Falls. Es kann nur eine Frage der Zeit sein, bis die Brücke zum Fall Waldheim und der österreichischen Opferrolle in der NS-Zeit (Wir haben nichts gewusst!) geschlagen wird. Ein paar Zitate von Thomas Bernhard und fertig ist das neoösterreichische Klischee.

Um realistisch zu bleiben: Der Fall in Amstetten und die Entführung Natascha Kampuschs haben Österreich weltweit größere Medienberichte eingebracht als alle anderen Vorkommnisse der vergangenen Jahren von Jörg Haiders Aufstieg und Fall bis zu den Erfolgen im Wintersport. Österreich wird von Millionen Medienkonsumenten noch Wochen und Monate lang mit den Kriminalfällen assoziiert werden. Die Belgier haben diese Erfahrung nach dem Fall Dutroux in den vergangenen Jahren machen dürfen. (Der dort im Gegensatz zu Österreich zu einer Staatskrise führte, weil Ermittlungen und juristische Verfolgung verschleppt wurden.) Gerecht ist das zwar nicht, aber eben nicht zu verhindern.

Internationale Journalisten reagieren nicht viel anders als nationale Medienvertreter und viele ihrer Leser, Seher und Hörer: Sie brauchen eine Antwort, sie brauchen einen Verantwortlichen. Josef F., dem in den vergangenen Tagen von zahlreichen Experten fast ehrfurchtsvoll kriminelle Energie, großer Intellekt und abartige Genialität zugesprochen wurde, reicht als alleiniger Schuldiger offenbar nicht aus.

Die italienischen Kollegen haben von ihrem Schreibtisch aus Habsburger, Biedermeier und österreichische Seele dafür auserkoren: Ein Land, in dem quasi jeder ein paar Kinder im Keller hat. In Österreich heißen die üblichen Verdächtigen entweder Behörden und Nachbarn, die sich aus der gemütlichen Analyse-Position im Nachhinein immer als blind erweisen. (Und natürlich die Gesellschaft, die für jedes Verbrechen verantwortlich ist. Denn jede Untat geschieht in einer Gesellschaft.) Die stets überraschend-progressive Seite kann auch noch das traditionelle Familienbild anprangern: Das Patriarchen-System öffne dem Missbrauch Tür und Angel. Stimmt übrigens durchaus, nur ist das eigentlich nicht das ideale traditionelle Familienbild.

Zwecks notwendiger Lehren aus dem Fall muss dringend geklärt werden, warum getilgte Verurteilungen wegen Sexualdelikten bei der Beurteilung von Adoptionen nicht aufscheinen müssen. (Obgleich dies im konkreten Fall keineswegs geheißen hätte, dass man die Opfer im Keller gefunden hätte.) Oder warum die Suche nach der scheinbar abgängigen Tochter nicht intensiver ausgefallen ist. (Was vermutlich auch nichts geändert hätte.) Dass sich der Bezirkshauptmann in seiner neuen Rolle als selbstbewusster Impresario von Amstetten bei solchen Sachfragen (etwa nach dem Leumundszeugnis für die Adoptionen) in kleine Widersprüche verheddert, hat sicher mit dem üblichen Stress zu tun, im Minutentakt Interviews zu geben, und wird dem Ergebnis keinen Abbruch tun.

Rotraud Perner machte im ORF auf eine interessante Sensibilisierung aufmerksam: In den 80er Jahren wurde bei einer abgängigen jungen Frau nicht in Richtung eines möglichen Missbrauchs in der Familie gedacht oder gar recherchiert. Heute ist das anders. Auch über eine Sexualstraftäter-Datei wird erst seit kurzem geredet.

Die Zeiten haben sich zum Glück geändert. Vielleicht wäre der Fall Josef F. heute nicht mehr möglich. Vielleicht.

Aber auch wenn das jetzt keiner gerne hört: Derartige bestialische Verbrechen werden auch in Zukunft nicht zu verhindern sein. Ganz sicher nicht.

Quelle: RAINER NOWAK (Die Presse)

 

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