Peking 2008: Stolze Chinesen, geblendete Welt

Die Olympischen Spiele sind ein Beweis für die Fortschritte Chinas. Doch Internetzensur und die Verhaftungen von Demonstranten haben gezeigt, wie weit der Weg zu einer freien, modernen Gesellschaft noch ist.

(c) Gepa

Noch ein paar spannende Wettkämpfe, noch ein rauschendes Finale am Sonntagabend, dann wird die Olympiaflamme auf dem Pekinger Vogelnest-Stadion gelöscht. Seit dem 8. August lodert sie hoch in den Himmel über der chinesischen Hauptstadt, mal unter Regenwolken, mal in strahlender Sonne. Das Staunen über neue Rekorde, die Freude über Goldmedaillen und der Gram über Niederlagen werden im Alltag verklingen. Doch die Debatte über Chinas Olympia 2008 wird weitergehen.

Wie kaum ein Olympisches Treffen in der jüngeren Geschichte haben die Pekinger Spiele die Welt gespalten. Menschenwürde, Fairness und Transparenz, die den olympischen Geist kennzeichnen, würden ein liberaleres China hinterlassen, prophezeiten die einen. Die anderen warnten vor zu großem Optimismus: Die gesellschaftlichen und finanziellen Kosten der Spiele seien zu hoch, die korrupte KP werde gestärkt, die Lage von Kritikern werde sich nicht einen Deut bessern.

Die Stadt wurde umgekrempelt

Wer in den vergangenen Tagen mit chinesischen Zuschauern in den Stadien und mit Passanten auf der Straßen sprach, konnte die Freude und den Stolz spüren, Gastgeber der Welt zu sein.

Tatsächlich war die Organisation der Spiele so gut wie in keinem Land zuvor. Die Freundlichkeit der vielen Freiwilligen war echt und kam von Herzen. Die umgekrempelte Stadt, die bunten Lichter, die neuen Promenaden, die Familien im wohlhabenden Freizeitlook – all das wäre noch vor wenigen Jahren unvorstellbar gewesen.

Kein Zweifel: Wer in den Olympischen Spielen den Beweis für die erstaunlichen Fortschritte sieht, die Chinas Bevölkerung sich in den vergangenen Jahrzehnten erarbeitet hat, ist zu Recht beeindruckt. Der Goldmedaillenregen hat das Selbstbewusstsein noch gestärkt, denn er zeigt: Alles ist machbar, wenn man nur hart arbeitet und keine Kosten scheut, man kann sogar die Amerikaner überholen.

Wer in der Inszenierung von Olympia 2008 aber einen Hinweis auf die politische Richtung sieht, in die Pekings KP-Führung das Land in Zukunft lenken will, dem kann angst und bange werden. Es gibt keinerlei Anzeichen, dass das neue Selbstgefühl in mehr Freiheit mündet. Chinas Bürgerrechtler kämpfen um jeden Zentimeter Freiraum. Querdenker sitzen nach wie vor im Gefängnis, die heimische Presse bleibt unter starkem Druck, KP-Politiker herrschen wie kleine Fürsten in ihren Ortschaften, oft mit Hilfe von Schlägertrupps.

Ziel: Die harmonische Masse

Die bemerkenswerte Eröffnungszeremonie des Regisseurs Zhang Yimou, die bis ins Detail von der Parteispitze kontrolliert wurde, lässt ahnen: Staatsziel ist es, die riesige Bevölkerung Chinas von 1,3 Milliarden Menschen zu einer „harmonischen Masse“ zu formen, die im Gleichklang voranschreitet und mit einer Stimme spricht. Dafür bemüht die Partei den alten Konfuzius, dessen Lehren sie einst verdammt hatte.

Aber Konfuzius, wenden chinesische Kritiker ein, hat die „Harmonie in der Vielstimmigkeit“ und nicht die „Harmonie der einen Stimme“ gemeint.

Im schicken Olympia-Medienzentrum beantwortete der Vertreter des Pekinger Olympiakomitees, Wang Wei, die Frage von Journalisten, warum kein einziger Protest in einem der dafür vorgesehenen drei Pekinger Parks erlaubt worden sei: Man habe alle Probleme bereits gelöst. Tatsächlich: Über 70 Bittsteller, die das Versprechen der Regierung ernst genommen hatten und sich bei der Polizei anmelden wollten, waren sogleich festgenommen, unter Hausarrest gestellt oder eingeschüchtert worden. Sie waren keine Randalierer, Chaoten oder Terroristen, sondern Menschen, die lediglich in einem öffentlichen Park ihr Anliegen vortragen wollten.

Diese Haltung ist zynisch und nicht zu entschuldigen. Aber es steht zu fürchten, dass sich ausländische Politiker, Geschäftsleute, Sportfunktionäre und Touristen verführen lassen vom herausgeputzten Peking, von den brillanten Staatssportlern, von den freundlichen Helfern. Das war von Anfang an das Ziel der KP.

Dass man Respekt vor den großen Leistungen der Bevölkerung Chinas zeigt und sich über verbesserte Lebensbedingungen freut, ist selbstverständlich. Die Augen vor den großen Problemen zu verschließen wäre aber dumm – und ein böses Ergebnis dieser Olympischen Spiele. Es wäre ein Verrat am Geist der Fairness und Offenheit.

Quelle: Die Presse

 

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