Immer öfter "geschlossene Gesellschaft"

Mehrere Monate nach der Einführung des totalen Rauchverbots in der deutschen Gastronomie müssen Lokalbesitzer deutliche Einbußen bei ihren Umsätzen verkraften.

Nach einer Umfrage der "Bild"-Zeitung (Freitag-Ausgabe) liegen die Rückgänge gegenüber dem Vorjahr bei zumindest 20 bis 30 Prozent. In der Hauptstadt Berlin beklagen Wirte Umsatzeinbußen von bis zu 70 Prozent.

Kleine Lokale besonders betroffen
Besonders stark betroffen seien kleine Lokale und Bars mit nur einem Raum, zeigte sich laut "Bild" aus der Umfrage unter Gaststättenverbänden und den Industrie- und Handelskammern in allen deutschen Bundesländern.

Die Verbände führen den Umsatzrückgang direkt auf das Rauchverbot zurück. Vielen Lokalen drohe dadurch letztlich das Aus. "Wir erwarten, dass elf Prozent der sogenannten Einraumbetriebe zum 1. Juli 2008 schließen müssen", zitierte die "Bild" den Sprecher des Gastronomiewirtschaftsverbandes DEHOGA Nordrhein-Westfalen, Thorsten Hellwig.

Bayern proben den Aufstand
In Bayern, von wo die Initiative für bundesweit schärfere Anti-Raucher-Gesetze ausgegangen war, haben die Wirte währenddessen ein Schlupfloch gefunden und nutzen es immer öfter.

Aus Lokalen werden Raucherclubs
Mittlerweile ist jedes dritte von den Behörden kontrollierte Lokal in München und Nürnberg zum "Raucherclub" geworden, während beim bayrischen Verfassungsgerichtshof Klagen pro und kontra Rauchverbot am laufenden Band eingehen.

Wegen des Booms der "Raucherclubs" verlangte der bayrische Städtetag am Donnerstag dringende Nachbesserungen beim Vollzug der Gesetze gegen den blauen Dunst im öffentlichen Raum.

Sieben Tage "geschlossene Gesellschaft"
"Spätestens wenn jedes Wirtshaus ein Raucherclub ist, merkt man: So war es nicht gemeint", warnte CSU-Städtetagsvorsitzender Hans Schaidinger. Das Gesetz selbst sei scharf, die Hinweise zum Vollzug hingegen stumpf. "Damit lässt sich das Rauchverbot in der Praxis nicht vollziehen."

Die Münchner Kreisverwaltung rief Bayerns Umweltminister Otmar Bernhard (CSU) auf, die "Umgehungsvereine" zu verbieten. Dringend neu definiert werden müsse in diesem Kontext auch der Begriff "geschlossene Gesellschaft", ein ebenso beliebtes Schlupfloch.

In Bayern darf seit 1. Jänner nur noch in nicht öffentlich zugänglichen Gasträumen geraucht werden, der Hinweis "geschlossene Gesellschaft" findet sich seither immer öfter an Lokaltüren.

"Schnell steigende Tendenz"
In Nürnberg seien von knapp 700 Ecklokalen und Bars schon rund 220 zu Raucherclubs geworden, "mit schnell steigender Tendenz und hoher Dunkelziffer", sagte Stadtrechtsdirektor Helmut Frommer. In München finden sich unter rund 2.000 kontrollierten Lokalen bereits 700 deklarierte Raucherclubs.

Der erst im vergangenen Dezember gegründete Verein zum Erhalt der Bayerischen Wirtshauskultur (VEBWK) hat mit seinem Leitspruch "Rauchen erlaubt" inzwischen mehr als 60.000 Mitglieder – Wirte, die ihre Gaststätten zu Raucherclubs gemacht haben, und Raucher, die dorthin als Gast kommen.

Schwierige Vorreiterrolle
Bayern war im Herbst nach dem Rücktritt von Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) in Sachen Nichtraucherschutz überraschend vorgeprescht. Die CSU-Landtagsfraktion beschloss, das geplante Gesundheitsschutzgesetz zu verschärfen: Im Freistaat sollte ein umfassendes Rauchverbot herrschen.

Die Wirte kündigten jedoch Widerstand an und organisierten ihre Raucherclubs. Nach den Verlusten der CSU bei der Kommunalwahl im Frühjahr vereinbarte die Staatsregierung dazu schnell noch eine einjährige Schonfrist für Bierzelte. Die Initiative Pro Rauchfrei sah vergangene Woche eine "katastrophale" 100-Tage-Bilanz: "Es herrscht Narrenfreiheit für die Wirte im Land."

Quelle: orf.at

 

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